
Letzte Woche hatte ich Besuch. Wir saßen zusammen bei einer Tasse Kaffee, plauderten und lachten, als das Thema auf Minimalismus kam. Sie schaute sich in meiner Küche um und fragte mich spontan:
"Was bedeutet für dich Minimalismus?"
Für mich bedeutet es, das zu besitzen, was ich auch wirklich verwende. Jeden Raum zu beleuchten und zu schauen, was ist drin, was ich schon seit eingen Wochen nicht mehr benutzt habe und diese Dinge auszusortieren und weg zu geben.
Ich lebe nicht in einem leeren Raum mit weißen Wänden. Bei mir ist es gemütlich, warm und lebendig und eben bewusst ausgewählt. Deko habe ich auch, aber wenig. Es sind Bilder, die meine Enkel und meine Nichte für mich gemalt haben. Kleine Kunstwerke, die für mich einen echten emotionalen Wert haben. Sie erinnern mich an schöne Momente, an Familie und an Liebe.
In der Küche stehen meine Nudelmaschine und die Küchenmaschine, mit der wir jeden Tag unseren Brotteig kneten. Keine Geräte, die verstauben oder nur „für den Fall“ angeschafft wurden, sondern echte Helfer im Alltag. Dinge, die täglich in Gebrauch sind und mir das Leben erleichtern.
Minimalismus heißt für mich nicht Verzicht. Es heißt Klarheit. Es heißt, mich von Überfluss zu befreien, aber nicht von dem, was mir Freude macht oder mein Leben bereichert.
Auch in meinem Kleiderschrank bin ich minimalistisch. Ich habe nicht viele Sachen, aber alles, was ich besitze, passt zu mir, es sind Lieblingsstücke, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich trage am liebsten eine schwarze Hose kombiniert mit einem schlichten Basic, dazu je nach Anlass eine Weste, einen Blazer oder eine Bluse. Ich mag es unkompliziert und praktisch.
Für mich ist Minimalismus kein Trend, sondern eine Haltung. Eine Entscheidung für mehr Qualität statt Quantität. Für mehr Raum zum Atmen, Denken und Leben. Für ein Zuhause, das nicht voll ist, sondern voll Bedeutung.
Als der liebe Besuch gegangen war, habe ich mir überlegt, wie bin ich überhaupt zu diesem Weg gekommen?
Und als ich mich zurück erinnert habe, konnte ich mich an eine Zeit erinnern, in der ich mich unwahrscheinlich einsam und leer gefühlt habe, obwohl ich alles hatte.
Alles da und doch innerlich leer
Und je mehr ich versucht habe, diese Einsamkeit mit Materialismus zu bekämpfen, umso schlimmer wurde es.
Erst mit meinem Einstieg in die Seifensiederei begann mein Weg in ein bewusstes Leben. Ich fing an, Dinge zu hinterfragen, die ich vorher nie in Frage gestellt hatte:
Tägliche Gewohnheiten. Routinen. Regeln, die wir einfach so übernommen hatten.
Warum benutzen wir jeden Tag Produkte, deren Inhalt wir nicht kennen? Warum geben wir Verantwortung ab, wenn es um unseren Körper und unsere Umwelt geht? Warum vertrauen wir industriellen Produkten mehr als unserem eigenen Bauchgefühl?
Heute weiß ich: Dieses Gefühl kam nicht von außen. es war das Ergebnis meines inneren Mangeldenkens. Ich hatte äußerlich alles, und trotzdem fühlte es sich an, als würde mir etwas fehlen. Und ich versuchte, diese Leere zu füllen, mit Dingen, die ich nicht brauchte. Mit Käufen, die mich kurzfristig beruhigten, aber langfristig belasteten.
Zu viel von allem und trotzdem nicht erfüllt
Mit der Zeit sammelte sich zu viel an. Zu viele Gegenstände. Zu viele Verpflichtungen. Zu viele Erwartungen. Ich hatte mich selbst zwischen Dingen und Anforderungen verloren. Die Leere blieb und sie wurde sogar lauter.
Also begann ich, mich zu befreien. Schritt für Schritt. Ich entschied mich für ein Leben mit weniger Ballast – für ein Leben mit mehr Bewusstsein, mehr Leichtigkeit, mehr Echtheit.
Heute ist das Gefühl der Einsamkeit verschwunden. Stattdessen empfinde ich Dankbarkeit und innere Fülle. Ich bin ruhiger geworden. Gelassener. Zufriedener. Ich umgebe mich mit Menschen, für die materieller Besitz keine Priorität hat. Menschen, die mich verstehen.
Was ich dadurch gewonnen habe
Ich habe erkannt, dass weniger ein Gewinn ist:
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Weniger Konsum bedeutet mehr Freiheit.
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Weniger Ablenkung bedeutet mehr Klarheit.
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Weniger synthetische Inhalststoffe bedeutet mehr Gesundheit.
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Es sind nicht die Dinge, die uns glücklich machen, sondern das, was wir erleben. Es ist nicht das Haben, das uns stärkt sondern das Loslassen.
Warum loslassen so schwer ist
Doch Loslassen ist nicht einfach. Warum halten wir so oft an alten Gewohnheiten fest? Warum greifen wir immer wieder zu Dingen, die uns nicht guttun?
Weil Veränderung Mut braucht. Weil unser Umfeld oft nicht versteht, warum wir „weniger“ wollen. Weil wir Angst haben, dass mit dem Loslassen, wir in den Mangel kommen.
Aber was, wenn genau das Gegenteil passiert?
Was, wenn wir durch das Loslassen in die Fülle und Dankbarkeit kommen?
Was, wenn weniger Dinge nicht weniger Leben bedeuten ,sondern mehr?
Mehr Raum. Mehr Zeit. Mehr Ruhe. Mehr Leben.
Mangeldenken ist ein kulturelles Erbe
Das Mangeldenken ist tief in unserer Kultur verankert. Es hat historische Wurzeln. Laut der Studie „Die Soziologie und das Knappheitsdenken der Moderne“ (2015) wurde das Konzept der Knappheit zu einem zentralen Paradigma unserer Gesellschaft geprägt durch Kriegszeiten, Hungersnöte und wirtschaftliche Krisen.
Mit der industriellen Revolution kamen Massenproduktion und Werbung und mit ihnen der ständige Vergleich. Der Gedanke, mehr haben zu müssen, um genug zu sein.
Eltern, die in Zeiten der Knappheit aufgewachsen sind, geben oft unbewusst weiter: "Spare für schlechte Zeiten." "Leg Vorräte an." "Sicherheit kommt durch Besitz."
Diese Glaubenssätze prägen uns unbewusst ein Leben lang.
Doch in einer Welt, die längst im Überfluss lebt, führen sie nicht mehr zu Sicherheit, sondern zu innerem Stress. Statt Fülle wahrzunehmen, spüren viele Menschen Angst, nicht genug zu haben. Nicht genug zu sein und das schlägt sich in Einsamkeit nieder.
Weniger Besitz bedeutet mehr Bewusstsein
Was, wenn Sicherheit nicht durch Anhäufung materieller Dinge, sondern durch Vertrauen entsteht? Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. In das Leben. In Gott. In die Natur.
Zero Waste und Minimalismus sind für mich keine ästhetischen Trends. Sie sind Wege der inneren Befreiung. Wer sich vom Mangeldenken löst, erkennt, dass wahre Fülle nicht in Dingen liegt, sondern in Erlebnissen, in Verbindung, in bewusst gelebter Zeit.
Ein neuer Blick aufs Leben
Bevor wir den physischen Ballast aussortieren, lohnt sich ein Blick auf unseren mentalen Ballast.
Stell dir vor: Dein Schlafzimmer besteht nur aus einem Bett, einer leeren Kommode und einem Stuhl.
Im Bad stehen keine Plastikflaschen mehr, keine Tuben, keine überflüssigen Pflegeprodukte.
Es fühlt sich an wie im Spa. Frei. Ruhig. Erholsam.
Und plötzlich merkst du: All das hat dich abgelenkt.
Weniger ist nicht Verlust. Weniger ist Gewinn.
Nicht für den Konsum – sondern für dein Herz, deine Seele, dein Leben.
Wenn du bereit bist, loszulassen, wirst du erkennen:
Du hattest nie zu wenig. Du hattest nur zu viel von dem Falschen. Und das ist der erste Schritt zur wahren Fülle.